Vorfreude auf die Wüste
Bin ich früher einfach immer so losgereist, ohne mir länger Gedanken zu machen, braucht heute alles eine detaillierte Planung. Zum Einen ist da mein
schulpflichtiges Kind, an dessen Ferienzeiten (= Hochsaison) ich mich halten muss, zum Anderen aber versuche ich, die Zeit zwischen zwei Neuauflagen der Bücher so zu nutzen, dass ich möglichst
viel sehe bzw. klären kann, und dennoch das begleitende Kind samt Freunde/Familie Feriengefühle haben. So hat sich das ganze Reisen verändert. Bin ich ohne Kind einmal alle ein bis zwei Jahre für
drei bis sechs Monate losgezogen, mit Rucksack und öffentlichen Verkehrsmitteln, so gehe ich jetzt zwei bis drei - in manchen Jahren sogar vier oder fünf Mal für ein paar Tage bis max. zwei
Wochen nach Marokko. Der Rucksack ist schon längst dem Koffer gewichen und aufgrund der wenigen Zeit und der Tatsache, dass dem Kind und mir in Bussen leicht übel wird, reisen wir mit der Bahn,
dem Taxi oder eben in einem Wagen mit Fahrer. Das ist ein Luxus!! Die Hochsaison bringt es mit sich, dass die Hotels, die mir wichtig sind, meist schon lange vorher ausgebucht sind, also muss ich
rechtzeitig reservieren, und natürlich sollten sie einen Pool haben oder eine Düne nebenan, oder zumindest sollten Oasenerkundungen oder Wanderungen in unmittelbarer Nähe möglich sein, um für das
Kind und die Begleitpersonen das Ferienprogramm zu haben, während ich - ja, das ist mein glückliches Los - Hotels anschaue, Pisten erkunde und mit Stadtplänen in der Hand abkläre, wo ist was. All
dies will im Vorfeld organisiert sein.
Und ganz ehrlich: Ich hätte es ja nie gedacht, aber bereits das Planen macht unglaublich viel Spaß! Mir ist dann, als würde ich die Reise mehrmals unternehmen: Das
erste Mal in der Planungsphase im Kopf, danach reise ich sie voller Vorfreude in Gedanken voraus, dann bin ich plötzlich da und darf sie in echt fühlen. Und jedes Mal bin ich voller Dankbarkeit -
nach 20 Jahren noch immer - dafür, dass ich wirklich da bin und reisen darf. Frei, ohne Ängste und wohin ich will. Was für ein Privileg!
So fern Ostern 2018 noch sein mag, ich bin bereits dabei, unsere Marokkoreise zu planen. Wie gesagt… Hochsaison, nur zwei Wochen Zeit und viel viel Lust, viel viel zu sehen. Ich schrieb es schon im letzten Post - ich LIEBE die Wüste. Und dahin soll es gehen. B., meine beste Freundin seit Kindertagen, hat nach 20 Jahren Beamtenstatus ein Sabbatjahr genommen und seit dieses vor ein paar Jahren genehmigt wurde, plant sie mit mir in die Wüste zu fahren. Mit dabei: Ihr Sohn (dann 17) und natürlich meiner (dann 13). Eine echte Teenie-Reise. Ja, denn dann ist auch das Kind kein Kind mehr, sondern ein Teenie. Ich bin gespannt. Doch in der Wüste sind wir alle letzten Endes gleich. Erfahrungsgemäß sind dann die Handys ganz plötzlich nicht mehr so wichtig, die Trommelmusik am Feuer übertönt den Youtube-Kanal und der Himmel - ja, der Himmel über uns hat so viele Sterne, dass man sich ganz klein fühlen kann. Spätestens beim Blick nach oben merken alle, wie viel mehr es gibt, als das Elektrogerät in der Hand.
Die Wüste und ich
Die Wüste war es, die mir meinen Weg gewiesen hat. Vielleicht bin ich deshalb so vernarrt in sie. 1997. Das Studium dümpelte so vor sich hin. Ich hatte alle
Scheine, aber irgendwie noch nicht so recht Lust, die Magisterarbeit anzugehen. Da verlor ich eine Wette. Der Einsatz war hoch: Der Gewinner - mein damaliger Freund Martin - durfte das nächste
Reiseziel bestimmen und wählte Marokko. Mitgehangen, mitgefangen sage ich nur. Egal. Marokko war nie nie nie auf meinem Schirm gewesen - ich war verliebt in Damaskus, wo wir wenige Jahre zuvor
studiert hatten, ich liebte Syrien und den Nahen Osten! Was sollte ich im wilden Afrika? Ich hatte nur schlechtes gehört und war von Sekunde Eins an auf Abwehr. Doch die schwand mit jedem Tag,
den ich dort verbrachte. Nach rund 10 Tagen mit Rucksack und Bussen unterwegs kamen wir in Oulad Driss an, nachdem wir herrliche Tage im Draatal verbracht hatten. Dort sattelten wir auf und
ritten los. Vollkommen naiv mit einem Chamelier, der keine Ahnung hatte, wohin wir liefen. Und so liefen wir. Vier ganze Tage lang. Geschlafen wurde auf dünnen Matten in unseren Schlafsäcken,
gegessen wurden selbstgebackene Fladen, Kekse, Reis und ein wenig Obst, getrunken wurde Tee und Wasser, das wir mit Micropur selbst entkeimten.
Anfangs spürte ich nichts anderes als meine Knochen. Die Sterne am Himmel, der weite Horizont, die sanften Dünen und das sanfte Schaukeln auf dem Kamel waren mir
reichlich egal, überall war Sand - in den Ohren, der Nase, im Mund… ich hatte Muskelkater wie noch nie zuvor und schlief ein, sobald ich vom Kamel stieg. Doch das änderte sich nach der ersten
Nacht. Mit jedem Schritt wurde ich freier. Am zweiten Abend bereits nahm ich die Leere wahr. Den Himmel mit seinen Sternen konnte ich tatsächlich sehen, das Gegrunze der Kamele hören. Unser
Chamelier, kein Wort Arabisch sprechend, kein Wort Französisch oder Englisch, machte still seine Arbeit, kochte für uns und trommelte dann auf dem leer gegessenen Topf zur Nacht.
Am dritten Tag dann spürte ich die Last meines Besitzes. Ich hatte den großen Rucksack dabei und einen Tagesrucksack. Dauernd suchte ich irgendwas - den
Fotoapparat, das Tagebuch, die Sonnencreme, den Schal, das Wasser, die Sandalen, die Socken… unser Chamelier hatte nur seinen Schasch, seinen Wüstenschal dabei, lief in Flipflops und in seiner
Djellaba voraus. Sonst hatte er nichts. Und er suchte auch nichts. Niemals. Der Topf zum Kochen war immer griffbereit. Getrunken wurde aus einem Blechbecher, der für uns alle drei da war, er
schlief auf dem Sand in seiner Djellaba und deckte sich nur mit seinem Schasch zu. Meist lag er im Windschutz der Kamele. Und er war freier als wir. Ich beobachtete das und ich glaube, in diesem
Moment hat die Veränderung begonnen. Ich hörte auf, immer nach einer Unterhaltung zu suchen, ich hörte auf zu suchen und den Sand - welchen Sand?... Zum Glück ging es Martin nicht
anders. Wir schwiegen zu dritt. Jeder auf seine Weise. Aber in mir begann sich alles zu rühren. Ich wollte mehr davon - mehr vom weniger. Ich wollte endlich nach vorne gehen, so wie die Kamele,
einfach geradeaus, allen unnötigen Ballast von mir werfen und frei sein. Ich spürte in diesem Moment, dass mich mein Weg zurück nach Marokko bringen würde, zurück in die Wüste, zu diesen
Menschen, die bei so wenig Bildung so viel Wissen in sich tragen. Und ich wusste, dass in diesen Tagen mein Weg eine andere Richtung genommen hat.
Ich kam zurück nach Deutschland, schrieb meine Magisterarbeit, beendete das Studium und ging bereits 1998 nach Rabat an die Uni. Hängte noch einmal ein
Arabisch-Semester dran und begann mit meiner Arbeit - in Marokko natürlich. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich ganz sicher auch einmal erzählen werde. Vielleicht nur noch so viel: Nach
dreieinhalb Tagen fand Ismael - ich glaube, so hieß unser Chamelier - wieder den Weg. Das war wichtig, denn die Wasservorräte gingen zuneige, und wir kamen am vierten Tag zurück nach Oulad Driss.
Ich verabschiedete mich noch dort von vielen meiner Dinge und reiste leichter und glücklicher weiter.
Doch zurück zu meiner Reiseplanung für Ostern nächstes Jahr. Mir ist klar, dass die beiden jungen Männer ganz sicher kein solch mystisches Erlebnis haben werden wie ich, anno dazumal. Aber ich weiß, dass auch sie zur Ruhe kommen werden und vielleicht wenigstens an einem der Tage einen Augenblick der Ruhe, der Leere und der Weite spüren können. Meine Freundin und mich jedenfalls zieht es magisch dorthin. Und so ist alles drum herum nur noch das "vor" und "nach" der Wüste.
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