Der erste Satz eines Buches ist immer der schwerste. Finde ich. Komischerweise ist das beim Blog-Schreiben nicht so. Da geistert mir was durch den Kopf, dann denke ich, Mensch, Muriel, darüber solltest du mal schreiben, und schwups ist der PC an, die Blogseite offen und ich schreibe los. Die Worte fließen dann nur so aus den Fingern. Anders ist es, wenn ich ein Buch beginne.
Wie bei allem, beginnt das Leben eines Buches mit der Zeugung. Eine vollkommen unromantische Angelegenheit - bei einem Buch! Meist klingelt das Telefon (seltener macht der PC ein hübsches Pling, dass neue Elemente im Posteingang meldet) und eine freundliche Dame ist an der anderen Seite der Leitung. Sie käme vom Verlag ABC. Und sie hätten meine Website gesehen und sich einen Überblick über meine Arbeit geschaffen und sie könnte sich vorstellen, ich wäre doch eine gute Autorin für eines ihrer Bücher. Oder vielleicht auch für mehrere. Mal sehen, wie wir miteinander zurecht kommen. Ob ich denn auch Interesse an einer Zusammenarbeit hätte.
Klar habe ich, und wie! Lust habe ich immer auf neue Projekte, ich bin geradezu süchtig nach neuen Büchern! Es ist wie der Anfang einer Liebe, ein Prickeln, eine immense Neugierde, der Wunsch, sofort alles stehen und liegen zu lassen und mich sofort mit großer Energie in die neue Aufgabe zu stürzen. Ja, aber so einfach geht das eben nicht. Denn so groß die Lust ist (eine Parallele zur Zeugung menschlichen Lebens), oftmals hapert es an anderen Dingen. An Zeit in den meisten Fällen. Dann muss erst mal geschaut werden, Termine müssen überlegt werden, derzeit schickt der Verlag mal ein Probebuch oder zwei..... das ist manchmal sehr schwer für einen so ungeduldigen Menschen wie mich. Aber da muss ich durch.
Ist die Zeugung dann mittels Vertrag endlich vollbracht, kann es losgehen! Ich lese mich ein, schaue mir die Probebücher oder anderen Werke einer Reihe an, versuche mir bereits jetzt vorzustellen, wie das Buch einmal aussieht (blaue oder grüne Augen?) und dann kommt der Tag der Wahrheit. Der erste Satz. Er schwebt wie ein Damokles-Schwert über mir. Ich setze mich hin und fange an.
Hm. Kein guter Satz.
Da ist kein Pep drin.
Dann kommt noch ein Versuch, wieder ein erster Satz. Argghhhhh - wie langweilig. Also: Auch löschen!
Das geht eine ganze Weile so, meist, bis ich frustriert alles hinwerfe und erst mal eine lange Pause mache. Im schlimmsten Fall (je nach Abgabetermin) kann das mehrere Wochen dauern. Und dann ist er da, der Moment. Plötzlich kommt der erste Satz von ganz alleine. Und dann beginnt das eigentliche Schreiben.
Nun ist es bei Reiseführern ja so, dass man nicht einfach ein Buch schreibt. Man muss dafür auch recherchieren (ich erinnere an diesen Blogeintrag). Jetzt mache ich es zumindest so, dass ich intensiv recherchiere und diese Ergebnisse dann für mehrere Bücher nutze. Rein finanziell würde es sich sonst überhaupt nicht lohnen. Aber mein allerneustes Baby, der Stefan Loose Marokko, der nächsten Monat endlich erscheinen wird, war so ein dicker Brocken (620 Seiten!), da war sehr viel mehr Recherchearbeit notwendig, als bei allen anderen Büchern zusammen. Also bin ich gereist. Und gereist, und gereist. Über drei Jahre. Als die letzte Reise dann endlich vorbei war, waren die Informationen der ersten Reise bereits wieder veraltet. Und so reiste ich eben wieder los - eine neverending story! Aber das ist es ja, was ich so unglaublich liebe am Bücher schreiben: Immer darf ich dafür reisen, immer darf ich los, immer..... Und bei aller Liebe zum Schreiben: Natürlich ist das Reisen der beste Teil eines Buches - naja, vielleicht der zweitbeste Teil. Denn das beste ist für mich die Geburt. Doch dazu später mehr.
Eine Recherchereise ist ganz besonders und vollkommen anders als eine Ferienreise. Denn man muss ja Dinge herausfinden. Man spricht mit vielen Menschen, wohnt in ganz vielen unterschiedlichen Hotels, hat Kontakte und Gespräche, die sonst niemals zustande kämen und man lernt so unglaublich vieles kennen. Und ganz häufig sich selbst. Meist von einer Seite, von der man vorher noch nichts wusste.
Doch da ist dann eben noch die Fleißarbeit, die viele Internetrecherche (wie viel Kilo Gepäck darf man bei Ryan Air mitnehmen und ist die Schweizer Botschaft in Rabat jetzt umgezogen?), das viele Adressen von Visitenkärtchen abtippen, die ganze Arbeit eben, die der Leser so selbstverständlich hinnimmt, uns Autoren aber manchmal jede kreative Energie raubt. Egal. Das gehört zu einer Schwangerschaft dazu. Durststrecken. Ganz normal. Ist das Buch erst mal geschrieben, kommt meist eine weitere Durststrecke - das Lektorat. Oh ja, ich weiß, wovon ich spreche. Eigentlich ist das Buch fertig geschrieben. Man möchte es abhaken, will es endlich in den Händen halten, will aufhören darüber nachzudenken, wie es sein wird. Und dann kommt die lange Phase des Korrigierens. Die Lektoren sind schrecklich findig, was Fehler, Ungereimtheiten, Ungenauigkeiten, vor allem aber Widersprüchliches im Buch betrifft. Ächtz! Immer bleiben sie freundlich, aber sehr hartnäckig und bestimmt: Muriel, schau mal, da und dort. Und hier steht A und dort B, dabei hast du auf Seite 537 C geschrieben. Was stimmt denn nun. Schrecklich ist das. Und erst die Kartenkorrekturen. Ich gehe stark auf die 50 zu - und ganz ehrlich? Meine Augen werden immer schlechter. Da hänge ich dann am Bildschirm und versuche Schreibweisen zu vereinheitlichen, Routenverläufe noch mal abzuklären, dabei will ich doch nur eins: DAS BUCH ENDLICH IN DEN HÄNDEN HALTEN!!!!! Aber nein, hier noch was und dort noch. Und dann ist der Tag da, wo ich nichts mehr ergänzen kann (denn natürlich kommt der beste, topaktuellste Tipp immer erst dann, wenn das Buch eigentlich schon auf dem Weg zur Druckerei ist und die Lektoren und Layouter müssen noch mal schnell reagieren (und verfluchen mich wahrscheinlich so, wie ich sie in der Korrekturphase :-)).
Und dann - dann dauert es vier oder sechs Wochen und plötzlich ist es da. Die ersten Vorwehen kommen mit den Verlagsankündigungen, mit dem Amazon-Vorverkaufsbeginn und den ersten Bildern vom Cover. Doch die Vorwehen vergehen, zurück bleibt die Ungeduld - bis... ja bis eines Tages der Postmann klingelt und ein Paket in der Hand hält. Ist es soweit, reisse ich es auf - und raus kullern 10 Autorenexemplare meines neuen Babys. Welch' ein Glück, welch überwältiges Gefühl, das Buch zu sehen, das man wochen- oder monatelang, wenn nicht gar, wie aktuell, jahrelang geschrieben hat! In den Armen wird es gewogen, durchgeblättert, liebevoll werden Bilder geschaut,erste Textpassagen kritisch gelesen und Tränen des Glückes (okay, okay, ich übertreibe) rennen über die Wangen.
Das dauert. Je nach Postbezirkt ein paar Stunden, manchmal aber auch nur ein paar MInuten. Denn irgendwann steht das richtige Kind vor der Türe. Das aus Fleisch und Blut. Kommt von der Schule, wirft einen Blick auf den Bücherhaufen, sagt, ah, cool, dein neues Buch. Was gibts zu Mittag?
Und schwups ist alles wieder relativ. Das echte Kind braucht Nahrung. Also los, in die Küche, Essen fertig machen, keine Zeit für romantische Gefühle. Die rücken rapp zapp in den Hintergrund.
Und irgendwann, beim Hausaufgaben machen, oder während das Kind im Sport ist, schaue ich noch mal auf den Tisch. Denke, ach ja, das Buch. Und schon ist es Normalität geworden.Schon noch ein bisschen Prickeln, schon noch ein bisschen Glück. Aber eigentlich ist es schon normal. Gehört dazu, ist eines von vielen. Und spätestens jetzt wird klar: Die Entstehung von Lese-Leben und echtem Leben unterscheidet sich eben doch. Denn das eine Glück ist vergänglich und wird schnell normal. Das andere bleibt für immer. Ein ganzes Leben lang. Und hört nie auf. Auch wenn das Kind in die Pubertät kommt. Ich schwöre!
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Christiane Keppler (Freitag, 30 April 2021 13:38)
Liebe Muriel, mir laufen jetzt auch die Tränen. Tränen des Glücks, der Freude und der Rührung und der Dankbarkeit ‼️ so schön und lebendig beschrieben ‼️ ich wünsche dir weiterhin viel Freude, Muse, Kraft und manchmal auch Nerven beim reisen, recherchieren und schreiben ‼️