So kurz vor Ramadan kreisen nicht nur in meiner Kochgruppe die Gedanken um den heiligen Monat, sondern auch ich werde ruhiger. Nicht, dass ich selbst fasten würde im Ramadan – ich bin keine Muslima. Aber ich habe so viele Jahre in überwiegend muslimischen Ländern gelebt, dass ich natürlich so manch‘ einen Fastenmonat miterleben durfte. Und nach wie vor ist es für mich eine ganz besondere Zeit.
Meinen ersten Ramadan habe ich in Syrien erlebt, gar nicht in Marokko. Es war der Winter 1994/95 und natürlich wusste ich schon damals, was der Ramadan ist, dieser legendäre sogenannte Fastenmonat, wie man auf Deutsch sagt. Schließlich war ich im fünften Semester der Islamwissenschaft, war also fit, was die Theorie des Islams betraf. Nur: Praktisch kannte ich vieles noch nicht. Und entsprechend erschrocken und überrascht war ich, als am ersten Abend des Ramadans, kurz vor Sonnenuntergang, ein Kanonenschuss durch Damaskus hallte. Ich hatte eine Wohnung mitten im Souk Saroudja, einem traditionellen, aber zentralen Viertel, hatte irgendwie gar nicht auf dem Schirm, dass Ramadan ist, und plötzlich donnerte es ohrenbetäubend. Ich erschrak, rannte zum Fenster und sah draußen auf der Straße Menschen rennen. „Ein Anschlag!“ Panisch rief ich meine Freundin an, Abir, eine Drusin, die mit Ramadan (zumindest mit den ersten 20 Tagen des Ramadans) so gar nichts im Sinne hatte und schrie: „Ein Anschlag!“ Doch Abir lachte, beruhigte mich und erklärte mir, dass der Kanonenschlag das Essen ankündigte und die Menschen rannten, um nach Hause zu kommen. Und richtig: Keine fünf Minuten später ertönte der Ruf des Muezzins und über die Stadt senkte sich eine bleierne Stille.
Meinen zweiten Ramadan erlebte ich dann in Marokko, 1999. Ich kam mitten in der Nacht am Flughafen von Ouarzazate an und fuhr mit einem Taxi ins Draatal, wo ich von einer Familie eingeladen worden war, die in einer alten Lehmkasbah wohnte. Als ich die Kasbah erreichte, wurde ich mit einem großen Hallo und einer noch größeren Tajine empfangen. Es war 3 Uhr in der Früh, ich war zwar vollkommen erschöpft, aber hungrig wie ein Wolf. Und so saßen wir in dem kleinen Raum aus Lehm auf Teppichen, aßen, erzählten und tranken Tee, bis der Muezzin rief. Die anderen verschwanden zum Beten, ich in mein Zimmer und schlief friedlich bis zum nächsten Nachmittag. Der verging schnell, denn es war Januar und die Sonne verschwand schon bald hinter dem Horizont. Ich weiß nicht wirklich, warum ich erwartete, wieder einen Kanonenschuss zu hören. Wahrscheinlich einfach nur, weil ich es nicht anders kannte. Aber der kam und kam nicht. Und irgendwann stand ein kleines Mädchen vor meiner Türe, gestikulierte wild und machte mir klar, dass alle mit dem Essen auf mich warteten, während ich in die Stille horchte. Und ich begriff: Ramadan in Syrien ist anders als Ramadan in Marokko.
Der Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Kalenders. Und da das islamische Jahr insgesamt rund 11 Tage kürzer ist als das christliche, verschieben sich auch die Monate jedes Jahr rund 11 Tage nach vorne. So findet der Ramadan niemals zur gleichen Zeit statt. Mal ist er im Sommer, dann wieder im Winter, manchmal ist er also deutlich schwerer durchzuhalten (wenn die Tage nämlich lang und die Temperaturen heiß sind), und manchmal geschieht er fast im Vorübergehen. Ich selbst habe nie einen Sommer-Ramadan erlebt. Denn als sich die Tage soweit verschoben hatten, dass er im Juli und August stattfand, lebte ich schon wieder mit einem Schulkind in Deutschland und konnte nicht reisen. Und darüber bin ich auch nicht traurig. Denn wenn die Fastenzeit von der ersten Dämmerung gegen 3 Uhr früh bis spät abends gegen 22 Uhr dauert, muss es unerträglich sein, nichts trinken zu dürfen bei Temperaturen von über 40°C. Genau das aber wird verlangt im Ramadan. Mit Beginn der Dämmerung am Morgen bis zum Sonnenuntergang dürfen gläubige Muslime weder trinken, noch essen, rauchen, sich Partum ansprühen oder gar Liebe machen. Alles verboten und zwar komplett. Aber natürlich gibt es Ausnahmen: Schwangere Frauen, Frauen, die ihre Periode haben, kranke Menschen und Reisende brauchen nicht zu fasten. Selbstverständlich auch keine Kinder, die den Sinn des Ramadans noch nicht begreifen. Denn bei all diesen Handlungen ist eines wichtig: Man soll begreifen, warum man es tut.
Im Fastenmonat wird nicht wirklich gefastet. Deshalb ist der Name auch irritierend. Im Fastenmonat wird einfach tagsüber auf einiges verzichtet. Und das mit gutem Grund: Denn der Ramadan ist der Monat der Rückbesinnung, ein heiliger Monat mit einem ganz besonders heiligen Tag, dem 27. Ramadan, dem Tag, an dem Mohammed der Koran zum ersten Mal offenbart wurde. Jeder Mensch soll sich in dieser ganz besonderen Zeit klar machen, dass alles Gute von Gott kommt. Auch und gerade die Dinge, die man im normalen Alltag als selbstverständlich ansieht. Ganz banale Dinge wie Essen, Trinken, Sex oder Rauchen. Und das ist etwas, was uns allen ab und zu guttäte, lernen, dass eben nicht alles, was wir kennen und lieben, selbstverständlich ist. Muslime lernen es jedes Jahr aufs Neue. Jedes Jahr im Ramadan. Mehr noch: Sie lernen es nicht nur einfach jedes Jahr aufs Neue, das Fasten (arabisch. Saum) im Monat Ramadan gehört zu den fünf elementaren Regeln des Islams und ist somit ein Pfeiler des Glaubens. Und das zeigt, welche Rolle Bescheidenheit im Islam spielt, Bescheidenheit und Dankbarkeit für das, was man hat. Denn hat man den Fastentag überstanden, hat den Mangel gespürt, der einem vor allem im Sommer zu schaffen macht, freut man sich am Abend um so mehr auf das Essen und Trinken. Und man spürt, dass es eben nicht selbstverständlich ist, immer alles in ausreichender Menge zur Verfügung zu haben. Man ist dankbar für all das, was man hat.
Diese Dankbarkeit zu spüren, Dankbarkeit einem Gott gegenüber, der den Menschen all dies gibt, ist für gläubige Muslime der eigentliche Sinn des Fastens. So ist es auch klar, dass man abends, wenn man wieder essen und trinken und all die anderen schönen Dinge tun darf, dies auch angemessen feiern darf. Allerdings – auch das ist wichtig zu wissen- nicht übertrieben. Und so geraten auch immer wieder diejenigen in die Kritik der Tiefgläubigen, die im Ramadan vor allem eins tun: Zu viel und zu süß essen, Nächte durchfeiern und dem Shoppingrausch verfallen. Denn auch das gehört zum Ramadan: Einkaufen. Vor allem für die Kinder, ganz ähnlich wie bei uns an Weihnachten. Was sich aber von unserem Weihnachten wesentlich unterscheidet: Es wird vor allem Kleidung gekauft, neben ein paar Spielsachen und Süßigkeiten. So ist der Ramadan vor allem für die Kleinen ein riesiger Freudenmonat.
Hält man sich an den Grundgedanken des Ramadans, nämlich den, dass man sich auf Gott besinnt und Bescheidenheit und Dankbarkeit lernt, feiert man die kleinen Dinge. Die Dattel, die man isst, sobald man nach Untergang der Sonne wieder essen darf, das Glas Milch oder Kaffee und die sättigende Suppe. Die Harira, die zum marokkanischen Fastenbrechen genauso dazu gehört, wie Chbakia, das traditionelle, honigtriefende Sesamgebäck. Andere Länder haben andere traditionelle Speisen, um das Fastenbrechen einzuleiten, doch das Ritual ist immer da gleiche: Ein Glas zu trinken, eine Kleinigkeit zu essen. Und dann wird gebetet. Gedankt, dass man nun wieder das darf, was vor und nach dem Ramadan eine Selbstverständlichkeit ist.
Wer einmal in den Genuss kommt, im Ramadan in Marokko zu sein, sollte sich von dem Gedanken verabschieden, einen ganz normalen Urlaub zu haben. Oder nein, das ist falsch ausgedrückt. Denn natürlich kann man auch im Ramadan einen ganz normalen Urlaub in Marokko erleben. Nur: Dann war man eben nicht wirklich in Marokko, sondern hat sich auf dessen touristisches Angebot beschränkt. Wer aber die Zeit und die Muße hat, keinen Terminen oder Reisezielen hinterherhetzen muss, der sollte sich durchaus mal darauf einlassen, den Ramadan zu erleben, vielleicht sogar mal einen oder zwei Tage mitzumachen, wenn auch vielleicht nicht gerade im Sommer. Am schönsten ist das natürlich innerhalb einer Familie. Denn die Stimmung ist in diesen Tagen eine ganz besondere. Es ist, als schwinge die Luft. Allerdings – das ist die Kehrseite der Medaille, klappt auch nichts wirklich so, wie es sollte. Die Menschen sind tagsüber müde und unkonzentriert, schnell artet eine kleine Diskussion in einen heftigen Streit aus - so wie wir das auch von uns kennen, wenn wir mal versuchen, eine Diät einzuhalten, Hunger haben oder es uns nach einem Kaffee dürstet. Insofern braucht es gerade im Ramadan noch ein bisschen mehr Gelassenheit, als man in Marokko sowieso braucht. Dann aber wird man mit einem ganz besonderen Erlebnis belohnt und vielleicht lernt man dann auch als Atheist oder Christ ein bisschen Demut und Dankbarkeit, wobei es hierfür eigentlich nicht den Ramadan braucht, nur der hilft eben ein kleines bisschen dabei. Demut und Dankbarkeit schaden schließlich niemandem, bereichern aber am Ende alle.
#insidemarokko
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Lang lebe Israel! (Sonntag, 16 Mai 2021 12:45)
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